Material Mensch

Abb. 1: Gezeichnete Hände eines Kohlewäschers, Berg Helan, Ningxia, September 2010. Lu Guang, © Contact Press Images.

Schmutzige Hände. Lu Guang zeigt sie auf diesem Bild im Detail. Was er mit diesen Händen eines Kohlewäschers vermittelt und ausdrückt, ist die harte Arbeit eines Bergmanns. Ebenso erweckt das Bild aber auch Assoziationen zu Erschöpfung und Ausbeutung. Die Arbeit des Bergmans beschmutzt aber nicht nur seine Hände, sondern auch seine Seele: Erschöpfung sowie auch Leid und Kummer sind ständige Begleiter seiner Arbeit. Die hier geschilderte Relation zwischen Rohstoff, Arbeit und Ausbeutung visualisiert ein Bild des Anthropozäns: Das Anthropozän bezeichnet das Zeitalter, in dem der Mensch mit seinem Handeln einen wesentlichen Einfluss auf Naturgeschehnisse genommen hat. Doch ebenso wie sich der Mensch durch sein Wirken in den Sedimentschichten der Erde abzeichnet, ist auch seine eigene Haut sowie seine Seele von der Arbeit gezeichnet. Um diese Relationen sichtbar zu machen, muss man nicht weit bis nach China blicken. Wir fanden diese gezeichneten und schmutzigen Hände auch lange hier im Ruhrgebiet. „…vor Arbeit ganz grau“, wie Herbert Grönemeyer in seinem Lied Bochum singt.

 

„Das Wachstum von Ruhrbergbau und Eisen- und Stahlindustrie im 19. Jahrhundert machte das Ruhrgebiet zu der wichtigsten Montanregion Europas.“ (Czierpka 2019, 13). Doch dieser wirtschaftliche Fortschritt brachte nicht nur Vorteile, schon gar nicht in Bezug auf die Lebensverhältnisse der Menschen. Dass sich die Bergbau- und Stahlindustrie im Ruhrgebiet während der Industrialisierung zum Hauptbeschäftigungsfeld etablierte, impliziert, dass ganze Generationen von dem Nachwirken dieser industriellen Mechanismen betroffen waren und sind. Die Lebens- und Arbeitsverhältnisse im Bergbau sind unter anderem geprägt von der Interaktion und Kollision von fossilem- oder mineralischem Material und Menschenmaterial. Welches Material wird hier stärker beansprucht oder ausgebeutet?

 

Die Extraktion von „Grubengold“ basiert auf Arbeit, die mit vielen Risiken und Gefahren verbunden ist. Es ist daher kein Wunder, dass der wirtschaftliche Aufschwung sowie die neuen Technologien und Innovationen im Ruhrbergbau immer auch mit dunklen Flecken einhergingen, so etwa mit widrigen Arbeits- und Lebensbedingungen, Krankheiten und Aufständen. Im Ruhrbergbau wird eine Innovations- und Konfliktgeschichte anschaulich, die sich um Material Kohle und Material Mensch aufspannt: Die Innovationsleistung des Bergbaus ging sowohl mit technologischen Neuerungen einher als auch mit der Formierung eines neuen Sozialwesens. Diese Innovationen waren jedoch niemals frei von Konflikten. Dies wird beispielsweise am Bergarbeiterstreik von 1889 deutlich: Nach einem langen Tief ging es mit der Wirtschaft wieder bergauf. Doch die Arbeiter hatten keine Teilhabe am Profit der Unternehmer. Auslöser des in Bochum und Essen beginnenden Streiks waren schlechte Löhne, fehlender Arbeitsschutz und Überstunden. Der Streik führte zwar zu keinem positiven Ergebnis in Bezug auf die Lohnforderungen, doch aus ihm resultierte eine gewerkschaftliche Organisation, die künftig die sozialen und politischen Interessen der Bergarbeiter vertreten sollte (Vgl. Köllmann 1991, 314-315). 

 

Ein wesentliches Ergebnis derartiger Arbeitsrevolten und Streiks bestand darin, dass die Arbeiter ihre Funktion als Arbeitsmaterial erkannt und versucht haben, aus dieser Rolle auszubrechen. Der Streik reiht sich somit in eine Konfliktgeschichte im Zeitalter des Kapitalozäns ein und lenkt den Blick auf eine arbeitende Gesellschaftsschicht, die lediglich der Industrie dient und ausgebeutet wird. Für den Historiker und Soziologen Jason W. Moore, der das Konzept des Kapitalozäns geprägt hat, ist der Kapitalismus nicht nur eine Wirtschafts- und Gesellschaftsform der Moderne. Vielmehr ist er aufgrund seiner Auswirkung auf die Landschaften, das Klima und auch die Menschen zu einem Strukturprinzip der Erdformation geworden. Das Kapitalozän baut laut Moore auf den Prinzipien von cheap nature und cheap labor (Moore 2016, 2; 92) auf: Cheap nature meint, dass die Natur für den Kapitalismus billig sei, sowohl in Bezug auf Preis als auch in einem soziopolitischen Verständnis im Sinne von minderwertig sein (Vgl. Moore 2016, 2-3). Hier wird im Grunde die Ausbeutung der fossilen- und mineralischen Ressourcen angesprochen. Cheap labor erweitert diesen Umstand dahingehend, dass der Kapitalismus darauf basiert, durch technischen Mechanisierung eine steigende Produktivität zu erzielen (Vgl. Moore 2016, 92). Dies bedeutet aber auch eine Zunahme schlecht bezahlter, physischer Arbeitskraft, oder treffender:  Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft.

 

Wenn man nun nach diesem Abriss über die Innovations- und Konfliktgeschichte zwischen Rohstoff und Material Mensch nochmals auf den Ausschnitt aus Lu Guangs Photographie blickt, was vermitteln also diese Hände? Die menschlichen Hände und die menschliche Kraft sind Werkzeuge zur Formung und Transformation von Landschaften. Durch die Arbeit, insbesondere in der Industrie, werden die Hände und Körper selbst eine Ressource: Cheap labor bedeutet letztendlich nichts anderes als den Menschen zu formen und seine Arbeitskraft auszubeuten und für andere profitabel zu machen.

Die Umweltgeschichte geht davon aus, „daß die meisten menschlichen Aktivitäten Konsequenzen für die Umwelt haben und daß Veränderungen in natürlichen Systemen – ob sie nun anthropogenen oder nicht-anthropogenen Ursprungs sind – unweigerlich die Menschen beeinflussen.“ (Winiwarter 1998, 12). Das Anthropozän-Konzept zielt somit nicht nur die menschlichen Einwirkungen auf die Natur (Luft, Erde und Wasser). Es verdeutlicht ebenso, wie Handlungen die Menschen selbst zu einer Ressource machen. Dem menschlichen Fußabdruck in den Erdschichten entsprechen die Marker an seinen Händen, dem Körper und seiner Gesundheit, die sich nicht nur in China, nicht nur im Ruhrgebiet, sondern auf der ganzen Welt finden.

Literatur

Brandt, Peter: Die Arbeiterbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts. Entwicklung-Wirkung-Perspektive, in: Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung (2002), S. 5-20.

 

Czierpka, Juliane: Der Ruhrbergbau. Von der Industrialisierung bis zur Kohlekrise, in: APuZ 1-3 (2019), S. 13-19.

 

Ditt, Karl; Kift, Dagmar: Der Bergarbeiterstreik von 1889: Ein Testfall für die sozialpolitische Reformfähigkeit des Kaiserreichs, in: Dies. (Hg.): 1889-Bergarbeiterstreik und Wilhelminische Gesellschaft (Westfälisches Industriemuseum Schriften 6), Hagen (1989), S. 9-32.

 

Gladen, Albin: Die Streiks der Bergarbeiter im Ruhrgebiet in den Jahren 1889, 1905 und 1912, in: Reulecke, Jürgen (Hg.): Arbeiterbewegung am Rhein und Ruhr. Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Rheinland-Westfalen, Wuppertal: Peter Hammer 1974, S. 111-148.

 

Köllmann, Wolfgang: Industrieregion Ruhrgebiet. Aufstieg, Strukturwandel und neuer Aufbruch, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 78,  3 (1991), S. 305-325.

 

Moore, Jason W.: Introduction. Anthropocene or Capitalocene? Nature, History, and the Crisis of Capitalism, in: Ders. (Hg.), Anthropocene or Capitalocene? Nature, History, and the Crisis of Capitalism, Oakland: PM Press 2016, 1-11.

 

Moore, Jason W., „The Rise of Cheap Nature“, in: Ders. (Hg.), Anthropocene or Capitalocene? Nature, History, and the Crisis of Capitalism, Oakland: PM Press (2016), S. 78-115.

 

Schmidt, Jürgen: Arbeiter in der Moderne. Arbeitsbedingungen, Lebenswelten, Organisationen, Frankfurt am Main: Campus Verlag 2015.

 

Tenfelde, Klaus: „Berarbeiterkultur in Deutschland. Ein Überblick“, in: Geschichte und Gesellschaft 5 (1979), S. 12-53.

 

Tenfelde, Klaus: Der bergmannische Arbeitsplatz während der Hochindustrialisierung (1890-1914), in: Werner Conze (Hg.): Arbeiter im Industrialisierungsprozess. Herkunft, Lage und Verhalten, Stuttgart: Klett-Cotta Verlag 1979, S. 283-336.

 

Tenfelde, Klaus: Arbeiter, Bürger, Städte. Zur Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Verlag 2012.

 

Winiwarter, Verena: Was ist Umweltgeschichte? Ein Überblick, (Social Ecology Working Paper, 54. Wien 1998.

Autorin

Destina Itzgi studiert Geschichte im Master of Education.

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