Die Einwirkung des Menschen auf die Umwelt ist Gegenstand zahlreicher Debatten, die unter dem Begriff „Anthropozän“ in Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit geführt werden. Seit seiner Prägung durch Paul Crutzen im Jahr 2000 hat der Begriff eine besondere Konjunktur erfahren, der seine Bedeutung auch in gegenwärtigen und zukünftigen Debatten, besonders im Kontext des Klimawandels wohl auch nicht mehr verlieren wird. Eine große Schwierigkeit stellt jedoch das Verstehen der komplexen Zusammenhänge und die Analyse der vielen menschlichen und natürlichen Faktoren dar, die zusammen das Erdsystem ausmachen. Auch wenn eine derartige Herangehensweise den Rahmen dieses Beitrages bei weitem übersteigen würde, so zeigt sich jedoch bereits am Beispiel von Lu Guangs Photographien die Verwobenheit anthropogener und natürlicher Elemente, die umso interessanter werden, je detaillierter man sie betrachtet. Der „Teufel“ steckt im Detail.
Auf dem Bildausschnitt erkennen wir ein Rind, welches sich in unmittelbarer Nähe einer Fabrik befindet, von der man nur den rauchenden Schornstein sieht. Die Blickrichtung des Rindes ist auf die Rauchschwaden gerichtet. Eine oberflächliche Betrachtung erkennt in der Aufnahme nichts Besonderes. Das Rind und die Fabrik scheinen sich zunächst in nichts ähnlich, handelt es sich auf der einen Seite um ein biologisches Lebewesen und auf der anderen Seite um etwas Künstliches, vom Menschen Erschaffenes. Die Gegenüberstellung suggeriert zwei Welten: Eine organisch, die andere technisch. Doch Rind und Fabrik sind sich doch ähnlicher als es scheint. Sie beide zeugen von einem Willen des Menschen zur Optimierung und Steigerung der wirtschaftlichen Produktivität. Tatsächlich lässt sich dieser in Gänze auf den Umgang mit Tieren verlagern: Nutztiere sind bereits seit Jahrhunderten über den menschlichen Konsum tierischer Produkte in Bezug auf Zucht, Fütterung und Haltung ständigen Optimierungsprozessen unterworfen. Innerhalb dieser Prozesse ist der Übergang von Lebewesen und Industrie fließend. Beide weisen eine weitere Gemeinsamkeit auf: Mit ihren Emissionen Kohlenstoffdioxid (CO2) und Methan (CH4) sind sie wesentliche Treiber des Klimawandels. Schauen wir genauer hin, sehen wir auf diesem Foto zwei entscheidende Teile in der menschlichen Entwicklungsgeschichte, die über Umwege in einem System miteinander korrelieren.
Tiere und Maschinen sind in der industrialisierten Welt einem nicht endenden Prozess der Optimierung unterworfen, welcher am Beispiel des Rindes als Nutztier sehr deutlich aufzeigt, wie weit sich der Einfluss des Menschen auf seine Umwelt erstreckt. So ähnelt das heutige, durch Zuchteingriffe veränderte Rind, im Vergleich zu seinen Vorfahren einem lebendigen Fleischberg beziehungsweise einem Milchfass. In der Vergangenheit vollzog sich also „[…] ein völlig neues Mensch-Natur-Verhältnis, nämlich die produzierende Steuerung statt der akzeptierenden Hinnahme der lebenden Umwelt“ (Schmidt 2019, 157). Ohne den exakten Zeitpunkt für den Start dieser Entwicklung, gleicht ihre Effizienzsteigerung gerade innerhalb der letzten vier Jahrhunderte einem exponentiellen Wachstumsgraphen.
Die Landwirtschaft nahm besonders in den vorindustriellen Gesellschaften den Mittelpunkt der Versorgung ein und sie ist nach wie vor ein unersetzbarer Teil zum Erhalt und zur Ernährung der Weltbevölkerung. „In Deutschland waren [in der Landwirtschaft] um 1800 zwischen 60 und 70 Prozent tätig, wobei diese Zahl in fruchtbaren und wirtschaftlich entwickelten Gebieten niedriger, in den weniger ertragreichen, aber auch höher lag […]. Um 100 Personen zu ernähren, mussten sich nahezu 70 Personen darum bemühen, genügend Nahrungsmittel herzustellen“ (Brüggemeier 2014, 23). Die im Laufe der Industrialisierung parallel durch das exponentielle Bevölkerungswachstum aufgezwungene Prozessoptimierung vollzog sich auch im landwirtschaftlichen Bereich.
In der heutigen Bundesrepublik ist nur noch ein Bruchteil der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig. Für den Menschen hatte diese Entwicklung weitestgehend eine Verbannung des Tieres aus dem alltäglichen Leben zur Folge. Für die Nutztiere bedeutete dies eine weitere Annäherung an ihr anorganisches Pendant – die Maschinen. Diese Form der Integration von Lebewesen in technische Abfolgen wird in besonders prononcierter Art und Weise in der Massentierhaltung deutlich. Unabhängig vom bereits erworbenen Kenntnisstand über artgerechte Haltung von Rindern, werden sie gleich der technischen „Plug and Play“-Methode möglichst platzsparend auf kaltem, unverformbarem Boden gehalten und haben keine andere Wahl, als sich ihrer Situation zu fügen, ihren Nutzen für uns zu erfüllen.
Der Klimawandel weist jedoch gerade auf Schattenseiten der Erfolgsgeschichte dieser Effizienzsteigerung hin. Ebenso ist die Massentierhaltung ohne Medikamenteneinsatz nicht umsetzbar und so verabreichen wir den Tieren „Antibiotika, beschleunigen damit Resistenzen von Bakterien, die wiederum auf den Menschen überspringen und ihn sehr verletzlich machen können für Infektionen“ (Rosenkranz, 2020, 24).
Tier und Maschine sind auf der einen Seite zu Instrumenten des Menschen geworden, haben sich als wertvolles Werkzeug des Fortschritts erwiesen und wurden unabhängig von ihrer gegensätzlichen Konstitution gemäß ihrem Nutzen in die Effizienzmaschinerie eingefügt. Beide teilen sich auf der anderen Seite einen Echoeffekt, welcher durch den vom Menschen verursachten Klimawandel sichtbar wird. Wir täten gut daran, diesem Echo ein Gehör zu schenken. Die Aufgabe eines umweltfreundlicheren und nachhaltigeren Lebenswandels ist die größte des kommenden Jahrhunderts und an ihrem globalen Ausmaß gemessen die schwierigste in der Geschichte des Anthropozäns.
Literatur
Rosenkranz, Eva: Pillen vor die Säue. Warum Antibiotika in der Massentierhaltung unser Gesundheitssystem gefährden, München: Oekom Verlag 2021.
Brüggemeier, Franz-Josef: Schranken der Natur: Umwelt, Gesellschaft, Experimente 1750 bis heute, Essen: Klartext Verlag 2014.
Brüggemeier, Franz-Josef; Rommelspacher, Thomas: Besiegte Natur: Geschichte der Umwelt im 19. Und 20. Jahrhundert, München: C. H. Beck Verlag 1989.
Schmidt, Jörg: Zwischen Notwendigkeit und Selbstverwirklichung: Arbeit und Umwelt in der Geschichte des Menschen, München: Oekom Verlag 2019.
Auderset, Juri; Moser, Peter: Die Agrarfrage in der Industriegesellschaft: Wissenskulturen, Machtverhältnisse und natürliche Ressourcen in der Agrarisch-industriellen Wissensgesellschaft (1850-1950), Wien; Köln; Weimar: Böhlau Verlag 2018.
Precht, Richard David: Tiere denken: vom Recht der Tiere und den Grenzen des Menschen, München: Goldmann Verlag 2016.
Evans, Richard J.: Das europäische Jahrhundert: ein Kontinent im Umbruch 1815-1914, München: Deutsche Verlagsanstalt 2018.
Autor
Marvin Hagedorn, Geschichte, Sinologie (B.Ed.)