Überlegungen zum Verständnis von Nachhaltigkeit in der Vormoderne

Abb. 1: Tagebau in Wuhai (Innere Mongolei), September 2010. Lu Guang @ Contact Press Images

Karge Landschaft, überall Staub und Rauch, Bagger und Lastwagen statt Feldern, Wiesen und Sträuchern. Mit dieser Photographie vom Tagebau in Wuhai gibt Lu Guang einen Einblick in die Gewinnung fossiler Ressourcen und die damit verbundene Zerstörung der Umwelt. Sie zeigt, wie die „Natur“ für die Zwecke des Menschen instrumentalisiert wird. Dabei scheint der Nachhaltigkeit des Unterfangens nur wenig Beachtung geschenkt worden zu sein.

 

Aktuell nimmt die Frage nach Nachhaltigkeit bei der Gewinnung von Ressourcen einen wichtigen Stellenwert innerhalb politischer Diskussionen ein. So wird in der Politik, wie auch in der Öffentlichkeit über die drohenden Folgen fehlender Achtsamkeit in diesem Bereich debattiert, es werden Handlungsfelder aufgezeigt, Lösungsvorschläge gemacht und Strategien festgelegt oder  umgesetzt. Dies gilt sowohl für Europa als auch für Ostasien und die Welt. Es wäre jedoch ein Fehlschluss zu vermuten, dass erst in der Moderne eine Reflexion über die Konsequenzen menschlicher Handlungen auf die Umwelt einsetzte. Es finden sich zahlreiche und überaus diverse Beispiele aus früheren Epochen, die von tiefgreifenden Überlegungen über die menschliche Schädigung der Natur zeugen.

 

Ein solches Beispiel ist die Erzählung Iudicium Iovis (Das Gericht Jupiters), welche vermutlich zwischen 1485 und 1490 verfasst wurde. Autor ist der Humanist Paul Schneevogel oder Paulus Niavis, wie er sich nannte (Krenkel, 1953, S. 5). Dieser Text gehört zu den eindrücklichsten historischen Quellen zur Dokumentation der Auswirkungen des Bergbaus auf Mensch und Natur.

Abb. 2: Paulus Niavis, Iudicium Iovis ad quod mortalis homo a terra tractus parricidii ac-cusatus, Titelholzschnitt, Leipzig [1495]., München, Bayerische Staatsbibliothek, 4 Inc.s.a. 1334. CC BY-NC-SA 4.0.

Niavis Erzählung spielt sich in einem Wald nahe der Stadt Schneeberg im Erzgebirge ab. Jene Montanregion war im späten 15. Jahrhundert ein Hotspot des europäischen Silberrausches. Die Geschichte handelt von einer Gerichtsverhandlung, die vom römischen Gott Jupiter einberufen wird. Klägerin ist die Erde, die schwere Vorwürfe gegen den Menschen erhebt: Sie wird beschrieben als verletzte und blutverschmierte Frau mit grünem, zerrissenem Gewand und tränenden Augen. Sie klagt den Menschen (in Vertretung für die gesamte Menschheit) wegen des Leides an, welches er ihr durch seine Gier nach Bodenschätzen antue. Merkur, der als Anwalt der Erde auftritt, führt aus, dass jene „allein um des Menschen willen“ alle Lebewesen mit Nahrung versorge, doch „mit dieser Güte nicht zufrieden, [dringt] der Mensch in die Eingeweide seiner Mutter ein, er durchwühlt ihren Leib, verletzt und beschädigt alle inneren Organe“. Er suche auch „die Erze aus Gier nach Reichtum“. Damit bezieht sich Merkur auf Erzbergbau im Allgemeinen, sowie im Besonderen auf die zahlreichen Silberbergwerke, die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auf dem Schneeberg entstanden waren. Als Verteidigung wirft der Mensch der Erde vor, dass sich diese nicht entsprechend ihrer Mutterrolle verhalte und sich stattdessen eher wie eine lieblose Stiefmutter aufführe, da sie ihm große Mühen und Gefahren dabei bereite, an ihre Schätze zu gelangen. Die Erde, so betont er, sei überhaupt allein um des Menschen Wohlergehen geschaffen worden.

 

Aufgrund der Vielzahl an Argumenten und Gegenargumenten, die im Laufe der Erzählung vorgebracht werden, kann sich Jupiter nicht zu einem Urteil durchringen und überlässt der Schicksalsgöttin Fortuna die Entscheidung. Diese urteilt zugunsten des Menschen, da es seine Bestimmung sei, sich die Ressourcen der Erde anzueignen, mit dem Resultat, dass er die Erde dabei selbst verletze und schädige. Er bezahlt für die Bodenschätze einen hohen Preis, so Fortuna: Nur mit großer Mühe und Arbeit gelangt er an die Reichtümer. Das Risiko, sich dabei zu verletzen und zu sterben, ist groß (Krenkel, 1953, S. 15-38; Asmussen, 2020, 378 f.). Dieser Schiedsspruch der Fortuna zugunsten des Menschen signalisiert, dass Niavis hier nicht bloß die Ausbeutung und Zerstörung der Natur kritisieren will, sondern auch die damals neu etablierten gefährlichen und kräftezehrenden Bedingungen des Stollenbergbaus und Vordringens in tiefere Gesteinsschichten reflektiert. Dadurch scheint es so, als könne es in dieser Geschichte keine Gewinner geben, da beide durch die angewandten Methoden der Ressourcenextraktion Schaden erleiden (Asmussen, 2020, 379).

 

Die Metapher der Erde als Lebewesen und Mutter, die erkranken und verletzt werden kann, war zu jener Zeit nicht bloß ein literarischer Topos, sondern viel mehr eine seit der
Antike ausgebildete und verbreitete Naturauffassung. Niavis lenkt in seinem Text die Schuld an der Zerstörung der Erde vom Menschen an die Erde zurück, da sie es dem Menschen so schwierig mache, an ihre Schätze zu kommen und ihn damit zu immer zerstörerischen Praktiken dränge.

 

Diese faszinierende Erzählung leistet ein eindrückliches Zeugnis davon, dass sich Gesellschaften bereits vor über 500 Jahren – und auch lange davor – Gedanken über die Konsequenzen ihres Umgangs mit der Natur machten und die Erde nicht einfach als unzerstörbare Quelle endloser Schätze betrachteten. Zwar wird die Ansicht deutlich, dass der Mensch ein Recht habe, sich an den Bodenschätzen gütlich zu tun, doch existierte bereits ein Verständnis von der Verletzbarkeit der Natur. Interessanterweise fällt in der Entscheidung der Fortuna dieser Aspekt jedoch weniger ins Gewicht als der Schaden, den der Mensch sich selbst antut. Dieser Gedanke lässt sich am Beispiel der Ressourcenausbeutung und Umweltzerstörung, die Lu Guang mit seinen Bildern eindrücklich dokumentiert, auch auf die Gegenwart übertragen: Durch die rücksichtlose Ausbeutung der Natur schaden sich die Menschen immer auch selbst. Sie zerstören die Erde, auf der sie leben und sorgen durch nicht nachhaltige Ressourcengewinnung  dafür, dass ebendiese versiegen.

Literatur

Anthony, Patrick: Labour, Folklore, and Environmental Politics in German Mining Around 1800, in: The Historical Journal (2020), S. 1-23.

 
Asmussen, Tina: Spirited Metals and the Oeconomy od Resources in Early Modern European Mining, in: Earth Sciences History 39/2 (2020), S. 371-388.

 

Bredekamp, Horst: Der Mensch als Mörder der Natur: Das ‚Iudicium Iovis‘ von Paulus Niavis und die Leibmethaphorik, in: Vestigia bibliae 6 (1984), S. 261-283.

 

Niavis, Paulus: Iudicium Iovis (1485-1490), übers. v. Paul Krenkel, Berlin 1953

 

Reith, Reinhold: Ressourcennutzung, in: Enzyklopädie der Neuzeit Online, 2019, URL: https://referenceworks.brillonline.com/entries/enzyklopaedie-der-neuzeit/ressourcennutzung-COM_339747?s.num=3&s.f.s2_parent=s.f.book.enzyklopaedie-der-neuzeit&s.q=Raubbau, zuletzt abgerufen am: 20.11.2021.

 

Warde, Paul: The Invention of Sustainability: Nature and Destiny, c. 1500-1870, Cambridge 2018.

 

Wrede, Volker: Bergbau gleich Raubbau? Rohstoffgewinnung und Nachhaltigkeit, Berlin 2020.

Autorin

Jenny Sure studiert Geschichte und Public History im Master an der Ruhr-Universität Bochum.

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