Die Quelle der am Horizont flackernden Flamme lässt sich nur erahnen (Abb. 1). Dichter Smog verdeckt die Landschaft und was einmal als Hügelkette zu erkennen war, sieht aus der Entfernung nur noch wie ein dunkelgrauer Balken am Horizont aus. Der Himmel ist ebenfalls durch den grauen Smog verdeckt, sodass die Flamme im Raum zu schweben scheint. Die Landschaft wird nahezu von der verschmutzten Luft verschluckt. Eine Vegetation hinter diesem grauen Schleier ist nur schwer vorstellbar.
Die Ursache für diese Rauchemission ist der immense Ausbau der Industrie. Dank des industriellen Fortschritts ist unser Lebensstil, wie wir ihn heute kennen, überhaupt erst möglich. Technologien zur Massenproduktion, die Herstellung notwendiger Materialien (Eisen, Stahl, Kupfer, Plastik, Aluminium, Farbstoffe, Textilien und viele mehr) und deren Weiterverarbeitung zu fertigen Produkten ermöglichen ein reiches Angebot an Gütern, die uns im Alltag begleiten. Die wenigsten Endverbraucher*innen haben beim Konsum von Waren die Verbrennungsprozesse im Blick, die bei der Herstellung stattfinden. Ein Nebeneffekt dieser Herstellungsverfahren sind Rauchemissionen. Insbesondere die Energiegewinnung durch die Verbrennung von nicht erneuerbaren Rohstoffen, wie zum Beispiel Kohle, tragen zur Entstehung großer Rauchemissionen bei. Wenn diese Emissionen ungefiltert in die Luft abgelassen werden, entstehen Bilder, wie sie in dem ausgewählten Bildausschnitt zu sehen sind. Das Resultat sind Gesundheitsrisiken für Mensch und Umwelt. Zuvor fruchtbare Gebiete werden zunehmend verschmutzt und die Lebensbedingungen der Bewohner*innen in den umliegenden Städten sind massiv beeinträchtigt. Der dichte Smog auf dem Bildausschnitt ist ein wirkmächtiger Ausdruck der gegenwärtigen Klimakrise, dennoch stellt dieses Phänomen für die Menschheit nichts Neuartiges dar.
Luftverschmutzung durch übermäßige Rauchemissionen war nicht erst seit der Moderne ein ernst zu nehmendes Thema. Mit der Expansion des Bergbaus im 17. Jahrhundert wurde Kohle immer breiter verfügbar. Zudem führte die massive Abholzung der Wälder dazu, dass die Preise für Holzkohle drastisch stiegen, da sie aus immer weiter entfernteren Regionen geliefert werden musste (Brimblecombe, 2011, 26-27). Die Konsequenz war, dass Kohle mehr und mehr innerhalb der Stadtgrenzen eingesetzt wurde und sich der Rauch aus den Schornsteinen der Häuser und Fabriken über die Stadt legte. Ein besonders beeindruckendes Beispiel bietet die Stadt London, die bereits früh wegen der gravierenden Luftverschmutzung kritisiert wurde. Der englische Gelehrte John Evelyn (1620-1706) beschäftigte sich zu Lebzeiten ausgiebig mit den ästhetischen und gesundheitlichen Aspekten der Städteplanung.
In seinem bekannten Werk Fumifugium (Abb. 2), das er König Charles II. im Februar 1661 präsentierte, beschreibt Evelyn geradezu bildlich, wie die Verschmutzung der Stadt weder vor König*innen noch Bürger*innen halt mache. Auch beschreibt er, wie zentrale Gebäude, etwa Kirchen und Paläste, von den Rauchemissionen beschädigt werden, so die St. Paul’s Church, die auf der Darstellung in Rauchschwaden gehüllt ist (Abb. 3). Besonderes Augenmerk legt er auf die sogenannte „sea-coal“, die seiner Einschätzung nach eine zentrale Quelle der Luftverschmutzung Londons darstellte. Brauer, Färber, Kalkbrenner und Seifenkocher innerhalb der Stadtgrenze nutzten für ihr Gewerbe die breit verfügbare, von englischen Hafenstädten importierte Kohle. Die aus den Schornsteinen emporqualmenden Rauchemissionen legten einen dichten Smog über die Dächer der Stadt (Evelyn 1661, 6).
Die gesundheitlichen Risiken wurden bereits von Kritikern wie Evelyn erkannt und in ihren Argumenten aufgeführt. Smog verursachte Atembeschwerden, Krankheiten und erhöhte die Sterberate um ein Vielfaches. Es wurde behauptet, dass sich die Sterberate innerhalb Londons verhundertfacht haben soll (Evelyn 1661, 6). Ob diese Zahl der Wahrheit entsprach oder der Überzeugung der Stadtregierung diente, sei dahingestellt. Auf jeden Fall wurde von Evelyn die Dringlichkeit zu handeln hervorgehoben. Abgesehen von den Auswirkungen der Luftverschmutzung auf die Menschen wurde auch auf die negativen Einflüsse auf die Natur Bezug genommen. Die Einwohner*innen könnten beobachten, wie Gärten, Felder und Wiesen ihre Fruchtbarkeit verlieren (Evelyn 1661, 7). Entsprechend des Zeitgeists des 17. Jahrhunderts bezieht sich Evelyn in seiner Argumentation auf medizinische Autoritäten und auch auf antike Philosophen. Hippokrates etwa hatte bereits in der Antike auf die wichtige Bedeutung reiner Luft verwiesen, und dass ohne deren Existenz kein Leben möglich sei (Evelyn 1661, 6-7).
Problematischer als die Erörterung der negativen Folgen der schlechten Luftqualität auf Menschen und Umwelt, waren jedoch politische und städtebauliche Maßnahmen zur Verbesserung der Situation. Erst ein Großbrand innerhalb der Stadt 1666 schuf den Impetus, die Industrie aus dem Stadtinneren an die Peripherie zu verlegen (Anonym 1976, ii). Allerdings bleiben Zweifel, ob das Problem der Rauchemissionen durch Deplatzierung der Industrie effektiv bewältigt werden kann. Zwar verbessert eine Auslagerung ins Umland die Luftqualität innerhalb der Städte, jedoch reduziert diese Maßnahme nicht die Mengen der verursachten Rauchemissionen und Umweltschäden. Vielmehr wird das Problem nur an einen anderen Ort außerhalb des Sichtfeldes verlagert. Die anderenorts verursachte Verschmutzung und deren Konsequenzen bestehen weiter. Die Frage, wie eine effiziente auch umfassende Reduzierung der Emissionen aussehen soll, die nicht auf dem Prinzip einer Verlagerung basiert, bleibt also heute wie auch damals relevant.
Literatur
Anonym: Prefatory Note, in: Evelyn, John: The inconveniencie of the aer and smoak of London dissipated together with some remedies humbly proposed by J. E. esq. to Hsi Sacred Majestie, and to the Parliament now Assembled, hrsg. von W. Godbid, London 1661, Abdruck von 1976. <https://archive.org/details/fumifugium00eveluoft/page/n3/mode/2up> 2009-06-10, S. 2021-12-07.
Brimblecombe, Peter: Interest in Air Pollution among Early Fellows of the Royal Society, in: Notes and Records of the Royal Society of London 32 (1978). S. 123-129.
Brimblecombe, Peter: London Air Pollution, 1500 – 1900, in: Atmospheric Environment 11 (1977), S. 1157-1162.
Brimblecombe, Peter: The Big Smoke: The History of Air Pollution in London since Medieval Times, Cambridge: Routledge 2011 (Nachdruck von 1987).
Evelyn, John: The inconveniencie of the aer and smoak of London dissipated together with some remedies humbly proposed by J. E. esq. to His Sacred Majestie, and to the Parliament now Assembled, hrsg. von W. Godbid, London 1661, Nachdruck von 1976. URL: https://archive.org/details/fumifugium00eveluoft/page/n3/mode/2up> 2009-06-10, 2021-12-07.
Miglietti, Sarah, Wholesome or Pestilential? Giovanni Battista Doni (1594-1647) and the Dispute on Roman Air, in: Roberta Ricci and Simona Wright (Hg.), The Renaissance Dialogue, Special issue of NeMLA Italian Studies 38 (2016), S. 203-220.
Rawcliffe, Carole, A Breath of Fresh Air: Approaches to Environmental Health in Late Medieval Urban Communities, in: David Fuller, Corinne Saunders, Jane Macnaughton (Hg.), The Life of Breath in Literature, Culture and Medicine. Palgrave Macmillan, Cham, 2021, S. 131-151.
Stolberg, Michael: Art. Luftverschmutzung, in: Enzyklopädie der Neuzeit Online (Zugriff am 17.3.2022)
Autor
Kai Winter, Studium der Mittelalter- und Renaissancestudien im Master of Arts and der Ruhr-Universität Bochum mit Kernbereich Anglistik und den Ergänzungsbereichen Geschichte und Archäologische Wissenschaften.